Mit den gesetzlichen Vorgaben, abstrakte und komplizierte Inhalte auch Menschen zur Verfügung zu stellen, die diese Inhalte (fast) nicht verstehen können, wurde der öffentliche Fokus auf die Tatsache gelenkt, dass unsere Gesellschaft auch Mitglieder hat, denen es schwer fällt, fachsprachliche oder allgemeinsprachliche Inhalte zu verstehen. Die Gründe dafür sind vielfältig und reichen von einer kognitiven Einschränkung, eingeschränktes Hören über Aphasie und Demenz bis hin zu mangelnden Kenntnissen der Landessprache.
Leichte Sprache wurde mit dem Ziel entwickelt, das Deutsch zu vereinfachen, so dass es von möglichst vielen Menschen verstanden werden kann. Zu diesem Zweck wurden Regeln zu Syntax, Wortschatz und Informationsgehalt festgelegt. So müssen einfache Worte gewählt werden, die Sätze müssen kurz sein und dürfen nur eine Information enthalten, Relativsätze sind nicht erlaubt, Fachbegriffe werden erklärt, und Texte in Leichter Sprache werden durch viele Bilder ergänzt.
Neben der Leichten Sprache gibt es die Einfache Sprache, dann die Standard- und schließlich die Fachsprache. Die Einfache Sprache ist dazu gedacht, dass man sich sehr schnell einen Überblick über kompliziertere Inhalte verschaffen kann. Sie unterliegt nicht denselben klaren Regeln wie die Leichte Sprache.
Inzwischen ist es gesetzlich verpflichtend, öffentliche Inhalte auch in Leichter Sprache zugänglich zu machen. Ein gutes Beispiel ist der Bundestag.
Während ein gesetzlicher Anspruch auf geschriebene Texte in Leichter Sprache besteht, gilt dies für das Dolmetschen in Leichte Sprache noch nicht. Gedolmetscht wird intralingual, d.h. wie beim Übersetzen auch, werden komplexere Inhalte aus der Fach- oder Standardsprache in Leichte Sprache umgesetzt. Die Themenbereiche, in denen Leichte Sprache bisher gefragt sind, sind Inklusion, Kultur, Recht, Politik und Medizin.
Aber es besteht ein steigender Bedarf an mündlicher Kommunikation, der allerdings dem schriftlichen Bedarf hinterherhinkt, da diese Dienstleistung bei der entsprechenden Zielgruppe zum Großteil noch unbekannt ist und deshalb bisher kaum nachgefragt wird.
Der Markt wächst jedoch, und damit stellt sich die Frage, wie der Beruf des Dolmetschers in Leichte Sprache professionalisiert werden kann. Welche Kompetenzen braucht man als Dolmetscher in Leichte Sprache? Wie kann diese Facette in die akademische Ausbildung integriert werden?
Die Universität Hildesheim hat einen Masterstudiengang Barrierefreie Kommunikation im Angebot, in dem genau diese Fragen geklärt und umgesetzt werden. Zurzeit werden Kompetenzmodelle für intralinguales Dolmetschen entwickelt, die die Bereiche translatorische Kompetenz, Sprachkompetenz, Kulturkompetenz und ethische Kompetenz abdecken.
Für die Sprachkompetenz gilt, dass die Regeln der Leichten Sprache sehr gut beherrscht werden und der Dolmetscher die Fähigkeit besitzt, Leichte Sprache in der mündlichen Kommunikation anzuwenden, d.h. aktiv sprechen zu können.
Daraus ergibt sich für den intralingualen Dolmetscher eine andere Rolle als für den interlingualen Dolmetscher. So sind beispielsweise komplizierte Schachtelsätze in einfache Sätze mit nur einer Information herunter zu brechen. Aus „Ich freue mich, dass Sie hier sind.“ wird „Sie sind hier. Ich freue mich.“ Die Regeln für die Redaktion von Texten in Leichter Sprache müssen mündlich und schnell umgesetzt werden, was eine schwierige Aufgabe ist. Aus der Vereinfachung der Originalrede ergibt sich damit auch, dass der Dolmetscher entscheiden muss, welche Informationen er weglassen kann und welche auf jeden Fall – nach den Regeln der Einfachen Sprache – zu vermitteln sind.
Die Rolles des Dolmetschers für Leichte Sprache ist deshalb eine ganz andere als die des interlingual arbeitenden Dolmetschers.
Daraus folgt, dass ein Dolmetscher für Leichte Sprache über eine hohe kulturelle Kompetenz verfügen muss, denn er braucht eine sehr genaue Kenntnis der Kultur derjenigen Menschen, für die er in Leichte Sprache dolmetscht. Diese kann er sich entweder über den akademischen Ansatz verschaffen, indem er beobachtet, wann die Adressaten beim Zuhören „aussteigen“, oder er erreicht diese Kompetenz durch einen engen Kontakt mit seiner Zielgruppe.
Die translatorische Kompetenz verbindet die Dolmetschstrategien für das Simultandolmetschen mit den Regeln der Leichten Sprache. Um entscheiden zu können, welche Inhalte vereinfachend weggelassen werden können bzw. um weitergehende Erklärungen abgeben zu können – beides Eingriffe in den Ausgangstext, die ein interlingualer Dolmetscher nicht vornehmen darf -, muss der Dolmetscher für Leichte Sprache außerdem über das entsprechende Fachwissen verfügen. Wird z.B. ein „schweres Wort“ verwendet, muss der Dolmetscher wissen, wie dieses Wort für seine Zielgruppe aufzulösen ist. Im Idealfall kennt er seine Zielgruppe so gut, dass er weiß, welche Begriffe er erklären muss und wo er nicht eingreifen muss.
Daraus wiederum ergeben sich die Anforderungen an die ethische Kompetenz. Ein Dolmetscher für Leichte Sprache muss ein starkes Bewusstsein haben für die Macht, die er in seiner Rolle hat, da die Zielgruppe von seiner Dolmetschleistung vollständig abhängig ist. Außerdem hat er eine Rolle als Klärender, da er in den Ausgangstext eingreift. Somit hat er eine hohe Verantwortung für die Verständlichkeit seines Outputs, d.h. er muss in der Lage sein, so viele Infos wie möglich zu geben, ohne die Zuhörer zu überlasten (Divergenz Standardsprache/Leichte Sprache).
Alle Kompetenzen sind miteinander verknüpft. Fehlt eine, kann nicht mehr garantiert werden, dass die Dolmetschleistung einwandfrei wird.
Der Ausblick zeigt, dass der Bedarf an Dolmetschern für Leichte Sprache steigt. Durch die gewünschte Professionalisierung wird die entsprechende Ausbildung in die akademische Lehre integriert. Ein noch in der Entwicklung befindliches Kompetenzmodell dient dabei als Grundlage für die wissenschaftliche Kommunikation. Die notwendigen Strategien, kognitiven Prozesse und Kompetenzen werden bisher noch empirisch erforscht.
Leichte Sprache gibt es auch in anderen Sprachen, wie z.B. Easy Language oder Plain Language. Dolmetschen in Leichte Sprache erfolgt derzeit noch nicht sprachübergreifend. Kognitiv wäre eine solche Dolmetschleistung für einen Dolmetscher wohl eher nicht zu schaffen. Man bräuchte ggf. zwei Dolmetscher – einen für den interlingualen und einen für den intralingualen Bereich.
Zur Unterscheidung zwischen Leichter und Einfacher Sprache wird gerade eine Norm erarbeitet.
Weiterführende Literatur: Schulz, R. et al. (2020): Easy Language Interpreting. In: Hansen-Schirra, S./ Maaß, C. (Hrsg.): Easy Language Research: Text and User Perspectives , Berlin: Frank & Timme. 163-178.